Mein Weg in die Selbstständigkeit

Vor ein paar Jahren beschloss Leonie Schüler: Sie möchte freiberuflich arbeiten. Über Selbstverwirklichung und Barrieren auf dem Weg dorthin.

Frau, Alter 30+, lächelt in die Kamera. Sie trägt die Haare zusammengebunden, trägt einen beigen Pullover und sitzt in einem Elektrorollstuhl. Daneben Text: Gastbeitrag von Leonie Schüler.

Text: Leonie Schüler 

Unerwartete Planänderung 

Im letzten Jahr meiner Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement begann die Coronakrise. Ich wurde nicht übernommen – mit der Begründung, ich hätte mich nicht so weiterentwickelt, wie alle anderen Auszubildenden in meinem Ausbildungsberuf. Dabei ist Entwicklung aufgrund von unterschiedlichen Lebenssituationen immer individuell. 

Vermutlich spielte der Beginn dieser noch nie da gewesenen Situation, mit verheerenden Folgen für die ganze Welt, auch eine Rolle. Auch, wenn der Beginn der Corona-Jahre von Ängsten und Ungewissheit geprägt wurde, hatte ich für meine Zukunft einen Plan. Ich hatte ein neues Ziel.  

Illustration einer Zeitung

Über das Internet hatte ich vom Deutschen Journalistenkolleg erfahren. Das Kolleg bildet studierende Personen in einem Fernlehrgang mit individuellem Lehrplan zu Journalist:innen aus. Um mich dort einschreiben zu können, benötigte ich einige Monate an Vorerfahrung in redaktionellen Tätigkeiten. Diese hatte ich durch meine Ausbildung beim Hessischen Rundfunk in Radio und Fernsehen schon erfüllt. Ich bin überzeugt: Es kommt immer alles, wie es kommen soll und nichts passiert ohne Grund.  

Die Corona-Jahre eigneten sich perfekt für einen Fernlehrgang aus dem Home-Office. Der Lehrgang dauerte zwei Jahre und ich habe durch die Dozent:innen, die selbst Journalist:innen sind viel gelernt. Solange man auf sich selbst fokussiert ist, kann man seine Ziele erreichen – egal, ob jemand an einem glaubt oder nicht. 

Zwischen Selbstausgrenzung 
und Selbstverwirklichung  

Der starke Fokus auf mich selbst hatte eine gewisse Ausgrenzung zur Folge. Ich konzentrierte mich auf die Verwirklichung meiner eigenen Ziele. Ich war so fokussiert auf mich selbst und baute mir meine eigene Welt auf. Dafür nahm ich in Kauf, andere soziale Kontakte zu vernachlässigen. Heute fällt es mir schwer, den Zugang zu anderen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung im Privatleben zu finden. Durch meinen individuellen Lebensweg wurde ich sehr lange von Separation geprägt. Damals konnte ich die Auswirkungen dieser Ausgrenzung noch nicht absehen. Dennoch bin ich zu der Person geworden, die ich sein möchte. 

Zitat: Von Behörden wurde ich aber immer wieder in berufliche Maßnahmen vermittelt, mit dem Ziel, mich in ein festes Arbeitsverhältnis zu bringen. Denn eine andere Anstellungsform sei für mich als Mensch mit Behinderung im Rahmen der Inklusion nicht vorgesehen.

Fehlende Selbstbestimmung 
bei Selbstständigkeit 

Mein berufliches Ziel war es, freie Journalistin zu werden. Also als Selbstständige für verschiedene Medienhäuser zu arbeiten. Von Behörden wurde ich aber immer wieder in berufliche Maßnahmen vermittelt, mit dem Ziel, mich in ein festes Arbeitsverhältnis zu bringen. Denn eine andere Anstellungsform sei für mich als Mensch mit Behinderung im Rahmen der Inklusion nicht vorgesehen. Immer wieder bekam ich die Rückmeldung: Dass eine Person mit Behinderung in die Selbstständigkeit gehen möchte, sei nun mal ein Einzelfall. Auf meinen Wunsch wurde keine Rücksicht genommen. Sollte Inklusion nicht bedeuten, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt ihre Arbeit gestalten können? 

Der Einstieg in den freien Journalismus 

Im September 2023 fand ich die inklusive Redaktion andererseits – ein Medienhaus in Wien – und konnte vor meinem ersten Honorar meine Freiberuflichkeit anmelden. Bei Behörden muss ich zwar immer noch nachweisen, wie viel ich verdiene, da die Honorare noch nicht zum Leben reichen. Aber die Fragen nach dem “Wer bin ich? Und wer möchte ich sein?” haben nun endlich ein Ende. 

Seitdem ich als freie Journalistin arbeite, hat sich mein Leben komplett verändert. Nicht nur mein Arbeitsplatz hat sich verändert, sondern auch die Art und Weise, wie ich arbeite. Ich habe meinen Weg in die Freiberuflichkeit geschafft.  

Illustration einer Rollstuhlnutzerin, die eine Zeitung in die Luft hält.

Selbstwert bedeutet Freiheit 

Die Freiberuflichkeit hat nicht nur meinen Alltag bereichert, sondern auch die Beziehung zu mir selbst. Sie hat mich selbstbewusster gemacht.  

Durch meinen neuen beruflichen Status lerne ich, wie frei ich in der Gestaltung meiner Arbeit bin. Gleichzeitig aber auch, dass ich für mich alleine einstehen muss. Meine Beziehung zu mir selbst ist wichtiger geworden als je zuvor. Ich muss den Wert meiner Arbeit und den Wert von mir selbst kennen, um diese Werte erfolgreich vermarkten zu können. Durch das Arbeiten auf Honorar-Basis habe ich gelernt, das selbst verdiente Geld wertzuschätzen. Auch wenn meine Honorare noch nicht ganz zur Unabhängigkeit reichen, ist es mein persönlicher Erfolg. 

Denn ich kann nun selbst entscheiden, wie viele Aufträge ich als Mensch mit Beeinträchtigung erbringen kann. Ich habe es alleine geschafft. Das zu erkennen, macht mich unheimlich stolz.

 

Zitat: Meine Beziehung zu mir selbst ist wichtiger geworden als je zuvor. Ich muss den Wert meiner Arbeit und den Wert von mir selbst kennen, um diese Werte erfolgreich vermarkten zu können.

Barrieren in der Selbstständigkeit 

Ich habe einen Weg gefunden, in dem Selbstverwirklichung für mich möglich ist. Aber von Selbstverwirklichung allein kann man seine Lebenshaltungskosten nicht decken. Und die steigen. 

Heute möchte ich meine Arbeit anderen Medienhäusern zu Verfügung stellen, um die gegenseitigen Horizonte zu erweitern. Aber es war durch die vorhandene Exklusion in unserer Gesellschaft ein langer Weg mit vielen Barrieren. Um so weiter machen zu können, wie bisher, sind Menschen wichtig, die in meine Arbeit vertrauen und sie wertschätzen.  

Während ich meinen Weg gerollt bin, kamen die unterschiedlichsten Behinderungen immer wieder von außen. Ich wurde und werde von der Umwelt behindert. Es braucht Verständnis für inklusives Arbeiten und der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesellschaft. Nur dann kann Inklusion erfolgreich funktionieren und zur Normalität werden. 

Portrait von Leonie Schüler. Sie ist 30+ Jahre alt, trägt zusammengebundene Haare und nutzt einen Elektrorollstuhl.

Über die Autorin

Leonie Schüler wurde 1992 in Aachen geboren und lebt in Deutschland. Im Oktober 2022 hat sie ihren Fernlehrgang zur Journalistin am Deutschen Journalistenkolleg in Berlin abgeschlossen. Ihre Fachbereiche sind Sport und Musik. In ihrer Freizeit interessiert sie sich für Fußball, Fotografie, Videobearbeitung und Musik. Das Bloggen wurde zu ihrer Lebensaufgabe, weil sie sich über Social Media für Normalität in Verbindung mit Inklusion einsetzt. 

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