Arbeiten mit Depressionen – geht das?

Arbeiten mit Depressionen – wie fühlt sich das an? Und wie kann eine Arbeitswelt aussehen, in der Menschen mit psychischen Erkrankungen gleichberechtigt teilhaben können? Homajon Sefat gibt Einblicke.

Mann mit kurzen, schwarzen Haaren, kurzem Bart und schwarzem Shirt steht vor leuchtend rotem Hintergrund. Text: Gastbeitrag von Homajon Senat

Text: Homajon Sefat / Foto: Christopher Glanzl 

Die Anfrage einen Gastkommentar zum Thema „Arbeit und Depression“ zu verfassen, kam für mich zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn ich befinde mich gerade in einer depressiven Phase, wie ich es schon lange nicht mehr war. Mich aufzuraffen, den Laptop aufzuklappen und einen Text zu diesem komplexen Thema zu verfassen, war die letzten Tage undenkbar für mich. Aber vielleicht ist es doch ein gutes Timing, um zu veranschaulichen, wie sich eine Depression anfühlen kann. 

Ich habe vor zwei Jahren die Diagnose „Mittelgradige bis schwere rezidivierende depressive Störung“ erhalten. Es war für mich eine Zäsur. Mir wurde bewusst, ich konnte nicht mehr so weitermachen wie die Jahre davor. Ich bin selbstständig und habe immer funktioniert, wollte es stets allen recht machen und zuverlässig wie belastbar auf mein berufliches Umfeld wirken. Ich war 10 Jahre nicht auf Urlaub und habe mir keine Auszeiten erlaubt, aus Angst jemanden zu enttäuschen oder Möglichkeiten zu verpassen. Das forderte seinen Tribut: ich wurde die letzten Jahre immer dünnhäutiger und weniger belastbar. Alles war zu viel, alles wurde immer schwerer zu meistern. Was auch Sinn ergibt, denn Menschen sind nicht geschaffen, um zu funktionieren. 

Ich bin kein Geschirrspüler, der funktioniert oder eben nicht, sondern ein Mensch. Wir brauchen alle Zeiten für Regeneration und zum Energie aufladen, das weiß ich jetzt. Und das habe ich mir all die Jahre verweigert. Mit dem Ergebnis, dass nichts mehr möglich und ich völlig ausgebrannt war. Ich habe mir viel zu spät Hilfe geholt und suche gerade wieder meinen Weg zurück ins berufliche Leben. 

Homajon Senat, im Gras liegend. Zitat: Ich habe auch lange damit gerungen zu erkennen, dass ich nicht die Depression bin oder umgekehrt. Sondern es ist eine Erkrankung wie jede andere.

Ich bin nicht meine Depression 

Das Heimtückische an einer Depression ist unter anderem der innere, erbarmungslose Kritiker. Egal welche Leistung ich erbrachte habe, egal wie viel ich gearbeitet habe, wie genau, wie akribisch, wie zuverlässig, es hat nie gereicht. Ich war nie zufrieden oder konnte mich zurücklehnen und mich über meine Arbeit freuen. Erst durch die Therapie habe ich gelernt, dass dieser innere Kritiker nicht ich selbst bin, sondern meine Depression. Ich habe auch lange damit gerungen zu erkennen, dass ich nicht die Depression bin oder umgekehrt. Sondern es ist eine Erkrankung wie jede andere. Depression ist heilbar. Es braucht Zeit und professionelle Hilfe. Die Depression war die Warnung oder das Ergebnis, dessen wie ich mich selbst behandelt habe und dass ich mich nicht ausschließlich über meine Arbeit definieren kann. Obwohl es ein wichtiger Bestandteil meiner Identität ist. Da ich das Glück hatte beruflich immer das machen zu dürfen, was mir Spaß macht und mich eigentlich erfüllt.  

Nun befinde ich mich die letzten Tage, wie bereits erwähnt, in einer depressiven Episode. Ich liege im Bett, kann nicht aufstehen oder meinen Alltag meistern. Es fühlt sich so an, als hätte man mir schwere Steine auf die Brust gelegt und es würde mich von unten noch zusätzlich jemand festhalten. Diese schwere Antriebslosigkeit gepaart mit Freudlosigkeit und Hoffnungslosigkeit hat es mir verunmöglicht diesen Text die letzten Tage zu verfassen. Obwohl meine Gedanken darum kreisten und ich auch Entwürfe dafür im Kopf entwickelt habe. Aber es abzutippen, keine Chance. Solche Phasen kommen und gehen, das weiß ich. Und ich habe es heute geschafft einen Weg raus aus diesem schwarzen Loch zu finden. 

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Mehr Verständnis für 
Mitarbeitende mit Depressionen 

Ich thematisiere das alles, um zu veranschaulichen, wie sich eine Depression zeigt: nämlich in Schüben. Was gestern noch unmöglich war, ist heute machbar. Vielleicht hilft es, Verständnis für Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen mit depressiven Erkrankungen zu schaffen. Es ist nicht Faulheit oder fehlender Wille, sondern eine perfide Krankheit.  

„People don't fake having depression. They just fake being OK.“ – hat der Schauspieler Robin Williams einmal gesagt. Und ich finde, das bringt es gut auf den Punkt.  

Ich glaube, mit etwas Verständnis und entsprechenden Rahmenbedingungen sind depressive Menschen gute und produktive Mitarbeiter:innen.  Sie sind für die Arbeitswelt von Bedeutung, denn Depression ist keine seltene Erkrankung. In Österreich erkranken laut Depressionsbericht Österreich (2019) 6,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben an einer Depression – Tendenz steigend. In Deutschland hatten 2022 laut AOK Bundesverband 12,5 Prozent der Einwohner:innen ab 10 Jahren eine ärztlich diagnostizierte Depression.  

Foto von Homajon Senat. Zitat: Ich thematisiere das alles, um zu veranschaulichen, wie sich eine Depression zeigt: Nämlich in Schüben. Was gestern noch unmöglich war, ist heute machbar.

Wie Arbeitgebende unterstützen können 

Was kann man als Arbeitgeber:in tun, um Mitarbeiter:innen mit Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten im Unternehmen zu halten? Dafür gibt es viele verschiedene Zugänge. Einige wurden bereits in diesem Artikel auf dem Karriereportal besprochen. Eine Möglichkeit wären flexible Arbeitszeiten. Es hilft, die Kernzeiten an die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Menschen mit psychischen Erkrankungen anzupassen. Diese Flexibilität kann die Arbeit erleichtern und den Druck nehmen, zu vorgegeben Zeiten „funktionieren zu müssen“. Es könnte in dem Punkt sogar ein Schritt weitergedacht werden und Arbeitszeitpools eingeführt werden. Das heißt, die vorgegebenen Arbeitsstunden müssen in einem gewissen Zeitraum geleistet werden, ohne fixe Arbeitszeiten. Auch die Möglichkeit für Home Office kann helfen.  

Die Kombination von Home Office und flexiblen Arbeitszeiten kann die Produktivität, gerade bei Menschen mit Depressionen, ungemein steigern. Denn so werden Hürden abgeschafft, die oft unüberwindbar sind oder nur mit sehr viel Energie und Kraft gemeistert werden können. Nach etwaigen längeren Krankenständen wäre eine schrittweise Eingliederung in den Betrieb empfehlenswert. So müssen Unternehmen nicht auf Arbeitskräfte mit Jahre langer Erfahrung verzichten. 

Natürlich helfen auch entsprechende Workshops und ein offener, vorurteilsfreier Umgang mit psychischen Erkrankungen. Dies ist leider immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem es okay ist, sich als depressiv zu „outen“, ist ein Gewinn für das gesamte Unternehmen. Denn nichts ist belastender als eine Krankheit aus Angst vor Konsequenzen geheim halten zu müssen. Was sich wiederum in einer sinkenden Produktivität widerspiegeln kann. 

Arbeiten mit Depressionen – das geht 

Einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, bietet für depressive Menschen positive Aspekte: sie stellt eine wichtige Struktur bereit, es findet wichtiger sozialer Austausch statt, stärkt das Selbstbewusstsein und das Gefühl gebraucht und geschätzt zu werden, kann als therapeutisch angesehen werden. 

Vielleicht sind das utopische Vorstellungen, aber es soll zeigen, dass es möglich ist mit Mitarbeiter:innen mit depressiven Erkrankungen fair und verständnisvoll umzugehen. Und vielleicht kommen wir so dem Ziel etwas näher, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. 

Homajon Senat liegt im Gras und blickt in die Ferne. Er trägt einen orangenen Schal, auf dem Sein Name "Homajon" steht.

Über den Autor 

Homajon Sefat ist Kabarettist, Autor, Musiker. Er ist, gemeinsam mit Dr. Katharina Stengl, Host des wöchentlichen Mental Health Podcast „Café Depresso“.

 

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