Karriere mit Lern-Behinderung

Louis Kleemeyer ist 23 Jahre alt, lebt in Deutschland und hat eine Lern-Behinderung. Die Agentur für Arbeit wollte Louis in eine Werkstatt schicken. Aber Louis war sich sicher: Er kann eine Karriere auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen.

Junger Mann mit braunen kurzen Haaren und 3-Tages-Bart lächelt in die Kamera. Daneben Text: Gastbeitrag von Louis Kleemeyer

Text: Louis Kleemeyer / Fotos: Louis Kleemeyer (privat) und Leonie Polster

Meine Schulzeit

Ich kam auf die Welt und habe zwei Tage nach meiner Geburt nicht mehr geatmet. Ich musste eine Beatmungs-Maske tragen, um wieder atmen zu können. In der Zeit, in der ich nicht geatmet habe, haben einige Zellen in meinem Gehirn nicht genug Sauerstoff bekommen. Deswegen habe ich seit meiner Geburt eine Lern-Behinderung.

Wegen meiner Behinderung wurde ich in der Schulzeit sehr gemobbt und ausgeschlossen. Ich hatte Schwierigkeiten, einen Freundeskreis oder einen Sportverein zu finden. Aber ich hatte eine starke Familie, die mich unterstützt hat. Mein Bruder hat mich immer in seinen Freundeskreis integriert. Seine positive Einstellung hat mir geholfen, das Beste aus mir herauszuholen. So konnte ich schließlich einen Freundeskreis und einen Tennisverein finden. Trotz der anfänglichen Skepsis der Agentur für Arbeit habe ich meinen Haupt- und sogar Realschulabschluss gemacht.

Altes Foto von 2 Kindern: Links Louis, der seinen Arm über seinen älteren Bruder legt. Beide lächeln.

Werkstatt oder erster Arbeitsmarkt?

Nach der Schule wollte ich eine IT-Ausbildung machen. Die Agentur für Arbeit meinte aber, ich könnte es nur in eine Behinderten-Werkstatt schaffen. Doch meine Familie und ich gaben nicht auf und fanden schließlich einen Ausbildungsplatz. Drei Jahre später schloss ich meine Ausbildung mit der Note 1 ab.

Das war der Beginn meiner Karriere, in der ich viele Dinge erreicht habe:

  • Ich habe ein Unternehmen gegründet
    Während meiner Ausbildung habe ich gemerkt:
    Ich will anderen Menschen mit Behinderung auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben helfen. Und so habe ich das Unternehmen Unique United gegründet: eine Online-Plattform von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung.  
  • Ich bin Mentor für inklusive Arbeitswelten
     Ich helfe dabei, Ängste und Probleme abzubauen und mehr Stellenangebote auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Ich unterstütze vor allem Start-ups. Ich engagiere mich als Mentor bei Inklupreneur, um eine inklusive Arbeitswelt zu fördern.
  • Ich war bei den Special Olympics Weltspielen in Berlin Vollzeit beschäftigt
    Ich war für die Veranstaltungen rund um den Sport verantwortlich. Zum Beispiel: Die Freizeitgestaltung der Athleten, die Eröffnungs- und Abschlussfeier, Musik, Shows, kulturelle Angebote, das Special Olympics Festival und den Fackellauf durch ganz Deutschland. Ich gestalte diese Events mit, um die Sicht von Menschen mit einer Behinderung bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Diese Arbeit bereitet mir große Freude.
Louis steht auf der Bühne. Eine Frau schüttelt ihm erfreut die Hände.

Wichtige Momente in meiner Karriere

Mein Karriereweg war von vielen bedeutenden Momenten geprägt. Einer der wichtigsten war der erfolgreiche Abschluss meiner IT-Ausbildung trotz der Skepsis der Arbeitsagentur. Diese Ausbildung hat mir gezeigt, dass ich mit genügend Unterstützung und harter Arbeit alles erreichen kann. Ein weiterer wichtiger Moment war die Gründung von Unique United. Die Idee, eine Plattform zu schaffen, die Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen unterstützt, war ein Wendepunkt in meinem Leben. 

Ein weiterer schöner Moment war 2018 in Santo Domingo. Bei einem internationalen Tennis-Turnier der Special Olympics hat der Inklusions-Aktivist Timothy Shrive gesagt "Yes, we can inclusion" und alle 3.000 Teilnehmer:innen sind aufgestanden und haben laut applaudiert.

Was mir geholfen hat

Barrierefreiheit bedeutet für mich, dass jeder Mensch die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sollte, unabhängig von seinen Fähigkeiten oder Einschränkungen. Um dies zu erreichen, nutze ich verschiedene Tools und Hilfsmittel. In meiner täglichen Arbeit verwende ich spezielle Software, die mir das Lesen und Schreiben erleichtert. 

Ich benutze:

  • ChatGPT für meine Rechtschreibung 
  • Eye-Able : Das ist eine Künstliche Intelligenz, die unter anderem Texte in leichte Sprache übersetzt.
  • Textleser-App zum Vorlesen von langen Texten. Die gibt es auch direkt in Microsoft-Produkten.
  • Google Lens, um Texte vom Papier zu kopieren oder zu übersetzen.
  • Software, die Meetings aufzeichnet, Untertitel anzeigt und Zusammenfassungen erstellt.

Neben Tools und Hilfsmitteln für die Barrierefreiheit, gibt es auch im Umgang miteinander Dinge, die das Arbeiten leichter machen:

  • Keine Vorurteile, sondern sofort auf Augenhöhe sprechen.
  • Arbeitsaufträge mündlich und schriftlich (digital) anbieten: So kann ich sie mir vorlesen lassen.
  • Keine langen oder schwer verständlichen Texte schicken, lieber einfache Sprache benutzen.
  • Chancengleichheit: Jeden einbeziehen und zusammen die nächsten Schritte besprechen.

Der Sport hat mir Selbstvertrauen gegeben

Auch der Sport hat für meine Karriere eine wichtige Rolle gespielt. Als ich endlich eine inklusive Tennisgruppe gefunden habe, konnte ich mich ausleben, habe neue Freundschaften geschlossen und verlor meine Ängste vor neuen Situationen und Menschen. Die Erfolge deutschlandweit und weltweit stärkten mein Selbstbewusstsein. Bei einem internationalen Tennis-Turnier in Santo Domingo habe ich Gold gewonnen. Mein Bruder und ich waren als Team im Unified Sports erfolgreich, das Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringt. Bei den nationalen Spielen von Special Olympics Deutschland 2022 konnten wir ebenfalls erfolgreich teilnehmen.

Louis und sein Bruder beim Tennis. Sie stehen auf dem Tennisplatz, lächeln und geben einander ein High-Five.

4 Dinge, die ich gelernt habe

In meiner Karriere habe ich vieles gelernt. Diese 4 Erfahrungen möchte ich teilen:

  1. Alles ist möglich: Lass dich nicht von Zweifeln oder Unsicherheiten bremsen.
  2. Frag dich nicht "Kann ich?", sondern "Traue ich mich?"
  3. Frag dich öfter "Hast du Lust?" – verfolge Dinge, die deine Leidenschaft entfachen.
  4. Bleib immer an deinen Träumen dran: Träume sind der Antrieb für Wachstum und Fortschritt.

 

Was muss sich noch ändern?

Viele Unternehmen setzen sich bereits für Inklusion ein. Aber sie vergessen oft, dass Menschen mit Lern-Behinderungen ebenfalls Unterstützung benötigen. Es muss noch viel getan werden, damit wirklich alle Menschen die gleichen Chancen haben. Ein wichtiger Schritt wäre, mehr Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Lern-Behinderungen zu schaffen und entsprechende Schulungen und Sensibilisierungs-Maßnahmen anzubieten. So können geeignete Arbeitsplätze und Anpassungen der Arbeits-Umgebung gelingen.

Mein Weg war nicht immer einfach. Aber mit der Unterstützung meiner Familie und durch meine eigene Entschlossenheit habe ich es geschafft, meine Ziele zu erreichen. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, Barrieren abzubauen und Inklusion zu fördern. 

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Über den Autor:

Louis Kleemeyer ist 23 Jahre alt und lebt in Deutschland. Seine Leidenschaft: Tennis. Woran er sich gerne zurückerinnert: An die Teilnahme bei der „Höhle des Löwen“ mit seinem Unternehmen Unique United.

Junger Mann mit braunen kurzen Haaren und 3-Tages-Bart lächelt in die Kamera.

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