Respektvoll auf Diagnosen reagieren – ein Leitfaden

Wenn im Arbeitsalltag die eigene Behinderung oder Erkrankung zum Gesprächsthema wird, wissen Kolleg:innen manchmal nicht, wie sie mit dieser Situation am besten umgehen sollen. Rea Strawhill erklärt, wie's gehen kann.

Portrait einer Frau mit braunen langen Haaren, tattowierten Arm, vor einem farbenfrohen Hintergrund. Daneben Text: Gastbeitrag von Rea Strawhill.

Text: Rea Strawhill / Foto: Karin Dihanich

 

Viele Behinderungen und Erkrankungen sind nicht sichtbar. Obwohl unsichtbare Behinderungen keine Seltenheit sind (Die Invisible Disabilities Association schätzt, dass ca. 70-80% aller Behinderungen nicht sichtbar sind ) wissen Viele nicht, wie man am besten damit umgeht. Ob sichtbare oder unsichtbare Behinderung: Viele Betroffene können ein Lied davon singen, wie unangenehm die Reaktionen manchmal ausfallen. Das kann von unpassenden und ignoranten Bemerkungen bis hin zur Ausgrenzung gehen, die oft aufgrund von Berührungsängsten passiert.

 

Wie sieht das im 
beruflichen Kontext aus?

 Grundsätzlich steht es uns im Beruf frei, ob wir unsere Diagnosen bekannt geben wollen oder nicht. Beides kann gewisse Vor- und Nachteile mit sich bringen. Mehr dazu, wie wir chronisch kranke Kolleg:innen unterstützen können, erfährst du hier.

Welche Reaktionen sind eher unpassend, und noch wichtiger: wie können wir es besser machen? Hier ein kleiner Leitfaden: 

Illustration einer Person, die einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Im Hintergrund viele Sprechblasen mit Fragezeichen.

Respektiere die Privatsphäre 

So nicht: „Was hast du genau? Wie lange hast du das schon? Wie oft musst du damit zum Arzt? Welche Medikamente nimmst du?“

Lass es lieber sein, die Person mit Fragen zu löchern. Auch wenn du vielleicht damit nur zeigen willst, dass du interessiert bist, kann es übergriffig sein, private Details zu Diagnosen einzufordern. Wenn sich die Person von sich aus öffnet und das auch für dich in Ordnung ist, könnt ihr euch natürlich gerne austauschen. Wie viel die Person am Arbeitsplatz über ihre medizinischen Daten bekannt geben möchte, sollte aber ihr überlassen sein. Denn wie auch in anderen Bereichen gilt: Privates muss privat bleiben dürfen. Da chronische Erkrankungen für viele Menschen ein sensibles Thema sind, sollte dies unbedingt respektiert werden. 

Besser: „Ich verstehe deine Situation und du kannst mir vertrauen. Wenn du mir mehr erzählen möchtest, habe ich ein offenes Ohr“

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Respektiere Anpassungen

So nicht: „Dass du jetzt einen extra Urlaubstag hast, ist aber unfair!“

Solche Bemerkungen sind nicht nur unangebracht, sie tun auch weh. Anpassungen am Arbeitsplatz, seien das flexible Arbeitstage, verkürzte Arbeitszeiten oder räumliche Anpassungen sind keine Goodies, die die Personen geschenkt bekommen. Es sind lediglich Mittel und Möglichkeiten, einen Nachteil, den eine Person bereits hat, auszugleichen, damit eine möglichst faire Situation entstehen kann. Ohne diese Anpassungen müssten viele Personen aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Außerdem ist Neid eine recht eigenartige Reaktion, denn auf die Symptome ist schließlich auch niemand neidisch. Und: Alle Menschen können im Laufe ihres Lebens erkranken. Wir sollten also eher froh sein, in einem Unternehmen zu arbeiten, das es möglich macht, auf unsere individuellen Lebenssituationen lösungsorientiert zu reagieren. Denn wenn wir selbst einmal in einer Ausnahmesituation sein sollten, kann eine inklusive Unternehmenskultur auch uns zu Gute kommen.

Besser„Ich bin froh, dass dir geholfen werden konnte, deinen Arbeitsplatz zu erhalten!“

Unangenehme Sprüche 
oder Scherze

 So nicht: „Na wenigstens sieht man es dir nicht an!“ oder „Na, bist du zur Abwechslung mal wieder im Krankenstand?“

Oft kann uns Humor dabei helfen, Situationen besser zu verarbeiten. Scherze sollten aber nie auf Kosten der Person gemacht werden. Auch hier ist es ein Unterschied, ob die Person selbst über ihre eigene Situation scherzt und Humor als Coping Mechanismus anwendet, oder ob der Person dies aufs Auge gedrückt wird. Im schlimmsten Fall wird die Person dann noch als Spielverderber:in bezeichnet, wenn sie Grenzen setzt und zeigt, dass sie solche Kommentare nicht möchte. Der wesentliche Unterschied: Lachen wir mit oder über eine Person? Und wenn jemand Humor nicht gerne praktiziert, um Situationen aufzulockern, sollten wir das ebenso respektieren.

Besser„Wenn wir die Situation irgendwie erleichtern oder auflockern können, lass uns gerne wissen, wie.“

Illustration einer Frau mit irritiertem Gesichtsausdruck. Um sie herum helfende Hände mit Ratschlägen: Wasser trinken, Medikation, Yoga machen, sich hinlegen.

Ungefragte Ratschläge 

So nicht: „Ich habe eine Tante, deren Nachbarin hat ihre Krankheit mit xyz geheilt. Das solltest du unbedingt probieren!“

Personen mit chronischen Erkrankungen haben oft schon unzählige Dinge ausprobiert, um ihre Symptome zu verbessern. Oft steckt in diesen ungefragten Ratschlägen der Vorwurf, man habe noch nicht genug ausprobiert und wenn man sich nur ordentlich bemühen würde, dann würde man nicht mehr chronisch krank sein. Dem liegt oft die Annahme zugrunde, dass wenn man nur alles richtig macht, es einen nicht selbst erwischen kann und dass Personen, die erkranken, irgendetwas falsch gemacht haben müssen. Dies ist natürlich ein Irrglaube. Wenn du der Person dennoch helfen möchtest, formuliere es als Angebot, das die Person aber auch ablehnen kann, wenn sie sich darüber nicht näher austauschen möchte. Auch hier ist die Privatsphäre der Person zu respektieren: Es gibt Situationen, in denen man einfach nicht über seine Erkrankung sprechen möchte, und das ist ok.

Besser: „Ich hab’ letztens von etwas gehört, was helfen könnte. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, sag mir einfach Bescheid, dann erzähle ich dir gerne darüber!“

Respektiert einander

Wie auch bei vielen anderen Themen gilt: Behandle dein Gegenüber mit Respekt und Wertschätzung, dann hast du die wichtigste Voraussetzung schon erfüllt. Wenn du unsicher bist, informiere dich eigenständig. Hier eignen sich Medien wie andererseits, OUR BODIES, die Neue Norm oder folge Betroffenen auf Social Media. Am wichtigsten ist es, der Person nicht zu suggerieren, dass sie anders sei oder eine Belastung, sondern sie so zu behandeln, wie du in einer ähnlichen Situation auch behandelt werden wollen würdest.

Welche Reaktionen hast du schon erlebt? Und welchen Umgang würdest du dir wünschen?

Drei Personen im Büro-Alltag. Daneben Zitat: "Wie auch bei allen anderen Themen gilt: Behandle dein Gegenüber mit Respekt und Wertschätzung."

Über die Autorin

Rea Strawhill ist ehemalige Lehrerin und schreibt auf ihrem Blog und auf Social Media über ihre Erfahrungen mit der Krankheit ME/CFS. Ihr Ziel ist es, Bewusstsein für Themen wie unsichtbare Behinderungen, Ableismus und Inklusion zu schaffen, und über Vorurteile zu chronischen Krankheiten und Behinderungen aufzuklären.

Auf Social Media findet ihr sie unter @Rea Strawhill 

Junge Frau mit langen braunen Haaren. Ihr Oberarm ist tattowiert. Sie steht vor einem farbenfrohen Hintergrund und lächelt.

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