Einfluss des Autismus-Spektrums auf das Berufsleben

„A happy journey through life“ lautete das diesjährige Motto des internationalen World Autism Awareness Day am 2. April. Dabei geht es für etwa 7 Millionen Menschen mit Autismus in Europa um den Zugang zu Bildung und Arbeit, individuelle Unterstützung und Teilhabe insgesamt. In diesem Artikel möchten wir daher aufgreifen, was man unter Autismus versteht, welche Auswirkungen es haben kann und welche Besonderheiten es im Berufsalltag zu beachten gibt.

Was versteht man unter Autismus?

Autismus, auch Autism Spectrum Condition (ASC) genannt, ist ein lebenslanger Zustand, der beeinflusst, wie eine Person mit anderen Menschen umgeht und mit ihnen kommuniziert. Menschen mit Autismus erleben die Welt anders.

Die Bezeichnung „Spektrum“ versucht dabei der großen Bandbreite an Symptomen und typischen Besonderheiten sowie den unterschiedlichen Stärken und Fähigkeiten, aber auch den Beeinträchtigungen, welche Personen mit einer ASC aufweisen können, gerecht zu werden.

Derzeit vollzieht sich gerade eine Trendwende und alle Formen des Autismus werden zum Autismus-Spektrum zusammengefasst. Die Ausprägungen Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und A-typischer Autismus werden in Europa aber weiterhin verwendet.

Frau hält sich zwei Pappkartons vor das Gesicht mit einem aufgemalten Auge und einem Mund.

Auswirkungen des Autismus-Spektrums

Das Autismus Spektrum ist vielfältig. Einerseits führen die Symptome zu großen Herausforderungen im Alltag, andererseits verfügen Menschen mit Autismus auch über einzigartige Talente.

Autistische Menschen haben Schwierigkeiten im sozialen Umgang. Es fällt ihnen oft schwer soziale Beziehungen zu initiieren sowie aufrechtzuerhalten. Nonverbale Kommunikation wird nicht intuitiv genutzt, da es schwierig für sie ist, diese zu verstehen. Für Autist:innen kann es eine große Herausforderung sein sich in andere Personen hineinzuversetzen. Darüber hinaus sind viele autistische Menschen sehr direkt und ehrlich und achten auf Details, die für andere Personen eher unwesentlich sind. Die gängigen sozialen Regeln der Kommunikation werden schwerer verstanden und sie verfügen über ein tendenziell wörtliches Sprachverständnis. Gesagtes wird daher wörtlich verstanden und interpretiert.  Weiters haben autistische Menschen oft eine Abneigung gegen Veränderung und ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Struktur und gleichförmige Abläufe. Routinierte und detailreiche Aufgaben liegen vielen daher besonders gut. Weiters zeichnen sie sich dafür aus, sich gerne auf ein spezielles Interesse zu konzentrieren und sich in diesem zu spezialisieren. In diesen Spezialinteressensgebieten verfügen manche Autist:innen über enormes Wissen und einen Expertenstatus. Dabei kann es allerdings vorkommen, das andere Aktivitäten vernachlässigt oder gar ausgeschlossen werden. Darüber hinaus haben autistische Menschen vielfach Schwierigkeiten Reize zu filtern und zu verarbeiten und es kann zu einer Über- bzw. Unterempfindlichkeiten in unterschiedlichen sensorischen Bereichen kommen.

Die Ausprägung dieser und anderer Symptome ist individuell sehr unterschiedlich und beeinflusst den Alltag teilweise kaum und in anderen Fällen sehr stark.

Wie wird Autismus diagnostiziert?

Die Diagnose einer ASC gestaltet sich medizinisch schwierig und es sind viele psychologische Gespräche und Tests notwendig. Darüber hinaus ist jede Auswirkung und Ausprägung unterschiedlich und es gibt daher keine Norm für Symptome des Autismus-Spektrums. Bei Kindern bemerkt man in der Regel eine alters-untypische Sprachentwicklung (entweder verzögert oder sogar ein unüblich gut entwickelter Sprachschatz) und ein verändertes Spielverhalten. Die ersten Anzeichen treten meistens innerhalb der ersten vier Lebensjahre auf. Allerdings kann es auch sein, dass keinerlei Auffälligkeiten wahrgenommen werden und dadurch der Autismus erst spät, wenn überhaupt, diagnostiziert wird.

Hinzu kommt, dass Autismus oft mit einer psychischen Erkrankung gleichgesetzt wird, bei denen es sich aber oft um Begleiterkrankungen handelt wie z.B. Depressionen, Zwang- & Angststörungen, Epilepsie, Schlafstörungen oder ADHS.

Die Zahl an diagnostizierten Autist:innen nimmt in den letzten Jahren stetig zu. Dieser Anstieg ist auch darauf zurückzuführen, dass sich die Methoden für eine bessere Diagnose weiterentwickelt haben. Die WHO geht davon aus, dass bei einem von 100 Kindern ein Autismus-Spektrum vorliegt. Dabei gibt es aber keine zwei Menschen mit der gleichen Diagnose.

In der Talkshow „Klischees über Autismus- Das denken Autist:innen“ auf dem YouTube Kanal von 100percentme vergleicht eine teilnehmende Person Autismus mit Curry: Jeder wisse was Curry ist, aber niemand wüsste dass es aus 13 verschiedenen Gewürzen besteht. Männer sind dabei häufiger betroffen als Frauen, jedoch besteht dafür noch keine medizinische Erklärung. Eine Vermutung besteht darin, dass Studien hauptsächlich an männlichen Probanden durchgeführt wurden und damit männliche Autisten leichter erkannt werden, da sich die Symptomatik durchaus unterscheiden kann.

Autismus ist angeboren und daher nicht heilbar. Eine Therapie kann allerdings helfen mit den Auswirkungen besser zurechtzukommen. Da sich der Autismus individuell äußert brauchen Betroffene auch individuelle pädagogische und therapeutische Unterstützung. Man lernt beispielweise Gesichtsausdrücke richtig zu deuten, mit Stresssituationen besser umzugehen und wie man mit anderen Personen besser kommuniziert.

Wie spricht man über Autismus?

Umweltaktivistin Greta Thunberg spricht über ihre Asperger-Diagnose von einem Geschenk. Andere Autist:innen hingegen empfinden es als eine Behinderung. Wichtig: hier gibt es keine Norm gibt und jede Person mit dieser Diagnose hat eine eigene Anschauung.
Die einen bevorzugen beim Sprachgebrauch den Human First- Ansatz, also „Menschen mit Autismus“, die anderen sehen Autismus nicht als Attribut, welches ein Mensch hat, sondern wie der Mensch ist bzw. wie er:sie die Welt wahrnimmt und wollen es auch so ansprechen. Daher bevorzugen sie Bezeichnungen wie „Autist:in“ oder „autistische Menschen“.
Eine Richtlinie bleibt aber stets dieselbe: Offenheit. Wenn man sich nicht sicher ist, wie man es ansprechen soll, dann sollte die Person selbst gefragt werden. Menschen im Autismus-Spektrum sind Expert:innen in eigener Sache.

Frau stützt erschöpft Kopf auf ihrer Hand ab.

Herausforderungen für autistische Menschen im Berufsalltag

Um gesellschaftlich teilhaben zu können, imitieren viele autistische Menschen neurotypisches Verhalten. Diese Anpassung wird als „Masking“ bezeichnet. Dabei wird versucht sich möglichst nah an die neurotypische Norm anzupassen und autistische Auffälligkeiten zu unterdrücken. Typische Situationen werden vorab genau durchdacht und das „richtige“ Verhalten wie z.B. der passende Gesichtsausdruck, die geeignete Körpersprache oder Blickkontakt halten wird einstudiert. Kristina Meyer-Estorf, Autisti:in, Coach und Peer-Beraterin, beschreibt Masking im Berufsalltag als das Anziehen eines Mantels. Je nach Situation wird ein anderer Mantel angezogen, welcher eine Art Fahrplan für das richtige Verhalten vorgeben soll. Diese Zusammenstellung von Verhaltensweisen dient dabei als Selbstschutz, um nicht stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. Darüber hinaus dient es in sozialen Interaktionen als wichtige Orientierung. Allerdings kostet diese geistige Anpassung sehr viel Konzentration und Energie und kann negative Folgen wie z.B. psychische Begleiterkrankungen mit sich bringen. Auch kann Masking dazu führen, dass Autismus im Erwachsenenalter lange nicht diagnostiziert wird.

Neben Masking ist auch die alltägliche Reizüberflutung im Berufsleben eine enorme Herausforderung für autistische Menschen und kann zu einer Überladung, dem sogenannten „Overload“ führen. Dabei stauen sich verschiedene Reize wie Straßenlärm, das Summen einer Biene, das Gespräch nebenan, die Werbung im Radio an und kumulieren sich bis sie ein lautes und undurchdringliches, ungefiltertes Getöse ergeben. Darüber hinaus können es auch Gefühle sein, die sich anstauen, oder zu viele zu schnell nacheinander gestellte Fragen. Viele Autist: innen reagieren darauf mit Unruhe, Rückzug oder Ohren zuhalten. Um sich vor dem Overload zu schützen bzw. aus diesem Zustand wieder herauszukommen, haben viele Autist:innen gelernt, sich selbst zu stimulieren z.B. durch monotones Singen, das Aufsagen von Reimen, Hin- und Herschaukeln, Drehen von Gegenständen usw. Auch äußere Reize wie das Auflegen eines kühlen Tuches können helfen. Die Folge eines Overloads ohne Rückzugsmöglichkeit kann eine Kernschmelze „Meltdown“ genannt sein, welche für Außenstehende wie ein Wutausbruch wirken kann.

Um solchen Situationen vorzubeugen bzw. damit besser umzugehen, ist es für autistische Menschen im Job wichtig, den Arbeitsplatz so barrierefrei wie möglich zu gestalten.

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Tipps für Barrierefreiheit im Berufsalltag für Menschen mit Autismus

Im oft hektischen Berufsalltag gibt es für Autist:innen zahlreiche Hürden, welche ihre Teilhabe, ihr Wohlbefinden sowie ihre Gesundheit einschränken. Folgende Maßnahmen können in Absprache mit den individuellen Bedürfnissen hilfreich sein, um den Berufsalltag für Menschen mit Autismus einfacher zu gestalten. Wichtig ist zu beachten, dass meist kleine Änderungen große Wirkung für alle, auch neurotypische Kolleg:innen, zeigen:

  • Möglichst ruhiger, fixer Arbeitsplatz oder zumindest einen ruhigen Ort, welcher jederzeit nutzbar ist, als Rückzugsort sowie Ruhepausen ermöglichen
  • Möglichkeiten, akustische Reize zu verringern (z.B. Kopfhörer, Ohrstöpsel, schallschluckender Teppichboden sowie gut gedämmte Wände, gut schließende Fester, Vermeidung von piepsenden elektronischen Geräten, unvermeidbaren lärm vorher ankündigen, etc.)
  • Akustische oder visuelle Hilfsmittel (z.B. Tonsignale, Beschilderungen, Beschriftung von öffentlichen Anlagen, Markierungen, Symbole, Einsatz von Farben, wechselnde Bodenbeläge etc.)
  • Möglichkeiten, optische Reize zu verringern (z.B. Sichtblenden, Sonnenbrille, Verdunkelungsrollos, angenehme, nicht blendende Farbgestaltung des Arbeitsplatzes, Verzicht auf Neonröhren oder blinkende Leuchtreklamen etc.)
  • Möglichkeiten, taktile Reize zu vermindern (z.B. gute Verarbeitung der Arbeitskleidung, keine störenden Etiketten, keine rauen Oberflächen, etc.)
  • Möglichkeiten olfaktorische Reize zu verringern (z.B. keine Verwendung von aufdringlichem Raumduft, Küche nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes, gute Belüftung etc.)
  • Möglichkeiten Reize zu vermeiden, welche durch zu viele Menschen entstehen (z.B. Trennwände in großen Räumen, separate Pausenräume, Rückzugsmöglichkeiten etc.)
  • Hilfe zur Strukturierung (z.B. Ablaufpläne, To-Do Listen, Tages- und Wochenkalender, genaue Dauer von Meetings im Vorhinein bekannt geben, Anrufe davor vereinbaren, Ordnung am Arbeitsplatz etc.)
  • Änderungen vorab ankündigen und Zeit zur kurzen Vorbereitung geben.

Weiterführende Informationen

Bei folgenden Stellen findest du weitere Informationen über das Autismus-Spektrum sowie diverse Angebote.

Österreich:

Deutschland:

Quellen:

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