Achtsamkeit und Stressreduktion im Alltag

Wir leben in einer sehr turbulenten Zeit, die uns allen viel abverlangt. Zusätzlich zu den Herausforderungen des Alltags sind wir mit der Pandemie und einer Informationsflut konfrontiert, die uns oft nicht zur Ruhe kommen lassen. Jetzt gilt es, besonders gut auf sich zu achten und für einen guten Ausgleich zum Stress des Alltags zu sorgen. Im folgenden Text gibt’s Inspirationen für einen positiven Umgang mit Stress durch Achtsamkeit im Alltag und auch gleich vier simple Tools, die in nur wenigen Minuten umsetzbar sind.

Zeichnung: Eine Person und ein Hund spazieren. Vor ihnen Bäume und Sonne. Die Person denkt an viele Aufgaben und hört Musik. Der Hund denkt an das, was er sieht. Text: "Mind Full, or Mindful?"

Gastbeitrag von Kathrin Prossegger

Was ist Stress

Bei "Stress" gilt es zwischen akutem Stress und Dauerstress zu unterscheiden. Stress ist per se nichts Negatives – im Gegenteil! Stress aktiviert und motiviert uns. Schon um in der Früh aus dem Bett und in die Aktivität zu kommen, braucht es ein gewisses „Stresslevel“. Dauerstress bzw. chronische Stressbelastungen können jedoch sowohl psychische wie auch körperliche Krankheiten verursachen.

Der menschliche Körper hat über viele Jahrmillionen gelernt, mit Stress umzugehen – die entsprechende Aktivierung der Stressachse in Gefahrenzuständen hat unser Überleben gesichert. Man stelle sich vor, wie die Menschen der Urzeit durch die Steppe wanderten und plötzlich einem Säbelzahntiger gegenüberstanden. Hier war eine rasche Reaktion überlebensnotwendig – die Muskeln werden bei Stress aktiviert und spannen sich an, der Blutdruck steigt, die Verdauung wird zurückgefahren, Tunnelblick. So konnte der Körper schnellstmöglich auf die Bedrohung reagieren, durch Bereitstellung aller Ressourcen und Energie. Sobald die Gefahr vorbei war, normalisierten sich diese körperlichen Reaktionen wieder und das Leben konnte im Normaltempo fortgesetzt werden.

Säbelzahntiger jagt Mann im Anzug

Heute begegnen wir schon lange keinen Säbelzahntigern mehr – dennoch reagiert der Körper auf „Gefahren“ immer noch gleich. Wir sind mit so vielen Herausforderungen, die unser Stammhirn (auch "Reptilienhirn") als akute Bedrohung wahrnimmt, konfrontiert: Dauerlärm, die ständige Informationsflut, Benachrichtigungen am Smartphone, der Verkehrsstau, die schimpfenden Kund:innen oder Vorgesetzten.  Und dann soll ja auch noch der Haushalt erledigt und der Einkauf getätigt werden. Oft bekommt unser Körper nicht mehr ausreichend Zeit und Ruhe, um sich zu regenerieren.

Schlaf ist ein sehr wichtiges Thema, wenn es um Stressreduktion geht. Auch hier hilft es, einen Blick auf unsere Vorfahren zu lenken: ihr Tagesrhythmus gestaltete sich ganz natürlich durch den Sonnenstand. Bei Helligkeit war der Körper aktiv und in Bewegung, bei Dunkelheit wurde geschlafen und das System konnte sich regenerieren. Heutzutage fällt es uns – vor allem durch die vielen künstlichen Lichtquellen – sehr viel schwerer, diesem Rhythmus auch nur annähernd zu folgen. Erschwerend hinzu kommen dann noch Nachtarbeit, das schreiende Baby und das Gedankenkreisen, was man noch alles zu erledigen hätte usw.

Es kann also hilfreich sein, am Abend bewusst das Licht zu dimmen und Bildschirmlicht (das oft einen hohen Blauanteil enthält) zu meiden. Sollte man doch abends noch vor einem Bildschirm sitzen müssen oder wollen, so hilft es, einen Blaulichtfilter zu installieren (zum Beispiel kostenlos von f.lux). Auch To-Do-Listen für den nächsten Tag sind eine gute Unterstützung, um den Kopf frei zu bekommen und nicht im Bett noch weiter zu denken, was alles getan werden muss.

Person schläft mit Smartphone in der Hand und mit aufgeklapptem Laptop neben sich.

Für die meisten Menschen sind diese Infos nichts Neues. Ganz oft scheitert man einfach an der Umsetzung. Denn der Alltag basiert vielfach auf Gewohnheiten, die sich über viele Jahre etabliert haben. Etwas daran zu ändern, klingt leichter, als es ist. Eine Möglichkeit, sich selbst immer mehr bewusst zu werden, was man eigentlich warum und wann tut, und ob einem das wirklich guttut, ist die Achtsamkeitspraxis.
 

Achtsamkeit im Alltag

Was ist eigentlich Achtsamkeit? Wir wären doch alle so gerne achtsamer – doch wer hat heute noch die Zeit dazu? Wenn der Tag ohnehin stressig ist, wie soll man sich auch noch Zeit für Achtsamkeit nehmen? Das Geheimnis ist: für Achtsamkeit brauchen wir nicht zusätzlich Zeit aufzuwenden, sondern es wird uns Zeit geschenkt! Durch das bewusste Wahrnehmen des Augenblicks intensiviert sich die Präsenz und vieles, was wir sonst „verpasst“ hätten, kann uns so bereichern.

Zum Beispiel Jetzt: Wie sitzt Du gerade? Wie fühlt sich Dein Hintern auf der Sitzfläche an? Wie atmest Du? Welche Dinge, Menschen, Gerüche, Geräusche umgeben Dich? Und wann bist Du eigentlich zum letzten Mal aufgestanden und/oder hast einen Schluck Wasser getrunken? Das alles bewusst wahrzunehmen ist praktizierte Achtsamkeit. Und möglicherweise ist Dir jetzt auch schon etwas aufgefallen, was Du an Deiner Situation ändern oder verbessern könntest, um Dich wohler zu fühlen.

Frau sitz im Lotussitz auf einem Büroschreibtisch und meditiert. Rundherum Kolleg:innen, die gestikulieren.

Achtsamkeit in stressigen Zeiten

Wie wäre es, wenn Du effektive Techniken zur Hand hättest, die Dich jeweils nicht mehr als fünf Minuten Deiner Zeit kosten würden, die Dein Leben aber maßgeblich verändern können? Im Folgenden beschreibe ich vier „Tools“, mit denen Du ganz schnell und einfach mehr Achtsamkeit in Deinen Alltag integrieren kannst: 

Atmung

Die Atmung ist unser Anker im Jetzt. Das bewusste Wahrnehmen des Atems passiert immer Jetzt. Du atmest ein, Du atmest aus. Vielleicht möchtest Du auch jetzt einmal tief durchatmen, seufzen und so Anspannung aus Deinem Körper entweichen lassen. Gerade in stressigen Situationen neigen wir dazu, flach und hektisch zu atmen. Sich dessen bewusst zu sein, kann Wunder bewirken.

Mit dem Atem haben wir auch direkten Einfluss auf unser parasympathisches Nervensystem, das für die Entspannung zuständig ist. Mit jeder bewussten, langen Ausatmung (bestenfalls durch den Mund), können wir Stress loslassen und im Jetzt ankommen. Mit jeder Einatmung tankt der Körper frische Energie und Sauerstoff. Besonders wenn man den ganzen Tag im Haus oder im Büro verbringt, empfiehlt es sich, regelmäßig zu lüften – oder noch besser: einfach mal ein paar Minuten an die frische Luft gehen und durchatmen. Besonders erfrischend und aktivierend wirkt das im Winter, bei tieferen Temperaturen.

Frau hat beide Hände übereinander auf den Oberkörper gelegt.

Morgenminuten

Du wachst auf und Dein erster Blick geht aufs Smartphone. Schnell die Nachrichten lesen, die ersten Mails beantworten, auf Social Media scrollen und nebenbei noch schnell einen Kaffee runterkippen  – und schon ist der Fokus wieder überall, nur nicht bei Dir selbst und Deinen Bedürfnissen.

Dabei ist gerade der Tagesbeginn die wichtigste Zeit, um die Weichen für den Tag bestmöglich zu stellen! Es wird Dein Leben verändern, wenn Du Dir hier noch fünf Minuten Zeit nimmst (für den Anfang ist auch eine Minute schon super!), um bei Dir selbst „einzuchecken“, und um ganz bewusst in den Tag zu starten. Das kannst du sogar noch im Liegen im Bett machen. Falls Du im Bett liegend dazu neigst, nochmal einzuschlafen, so setze Dich lieber auf. Einfach mal wahrnehmen, wie sich der Körper anfühlt, welche Gedanken präsent sind und wie Deine Stimmung gerade ist. Und auch hier wieder ein bewusster, tiefer Atemzug – dann kann der Tag starten!

Die Zeit am Morgen wird oft als besonders beschrieben und wahrgenommen – der Körper ist (bestenfalls) ausgeruht und regeneriert und vielleicht haben sich in der Nacht auch einige Gedanken sortiert. Genau das macht unser intelligenter Körper nämlich – in der Zeit, in der wir glauben, „nichts“ zu tun, passiert in Wahrheit sehr viel und das System wird quasi resettet. Viele Menschen profitieren davon, sich in der Früh Zeit für eine Meditation und/oder ein kurzes Workout oder eine Yogapraxis zu nehmen, um so bestmöglich in den Tag zu starten.

Vielleicht hilft es Dir, das Ganze als Experiment zu betrachten. Einfach mal ausprobieren, was Deinen Morgen noch ein kleines bisschen besser machen könnte. Möglicherweise tut es Dir gut, Dein Lieblingslied aufzulegen, oder Du genießt lieber die Ruhe und Stille am Morgen und lauschst in Dich hinein. Vielleicht willst Du Dich bewegen, um gut in Deinem Körper anzukommen oder einfach nur ruhig dasitzen und die Gedanken ziehen lassen. Dazu eignet sich auch eine Meditation wunderbar. Vielleicht willst Du aber auch ein paar Gedanken aufschreiben oder den Tag mit einem anderen Ritual begrüßen. Lass Dich inspirieren und probiere aus, was sich für Dich am besten anfühlt!

Person sitzt am Boden und meditiert.

Wartezeiten als Pausen nutzen

Dann wären da noch diese ungewollten Stressmomente untertags. Gerade wenn man es eilig hat, fahren die Öffis besonders langsam oder man steht im Stau. Rote Ampeln leuchten einem erfahrungsgemäß in den ungünstigsten Momenten entgegen. Und wenn man dann noch schnell einen Anruf erledigen will und wieder in einer Warteschleife hängt, dann kann einem das den letzten Nerv rauben. Oder Du willst nur noch nach Hause und deinen Feierabend genießen – doch vor Dir im Supermarkt eine Schlange und der Bus fährt dir auch noch vor der Nase davon.

Wie wäre es, wenn Du diese Momente, in denen wir im Normalfall mit Stress und Gereiztheit reagieren, positiv für Dich verwenden könntest? Hierzu eine Inspiration: Nutze Wartezeiten (z.B. an der Bushaltestelle, an der Kassa, am Telefon, im Stau) dazu, um mal bewusst wahrzunehmen, wie Du stehst oder sitzt, wie Dein Atem fließt. Vielleicht ist es Dir sogar möglich, kurz die Augen zu schließen und in Dich hineinzuhören. Und dann atme mal bewusst durch, gerne auch mit einem Seufzen. Dadurch gibst Du Deinem Körper und Deinem Geist einen Entspannungsimpuls und das Stresslevel sinkt. Manchmal hilft es auch, leise vor sich hin zu summen oder sich ein kraftspendendes Mantra vorzusagen. Zum Beispiel: "Ich schaffe das", "Jeder Augenblick ist ein Geschenk", "Ich bin dankbar für mein Leben".

Dankbarkeits-Routine

Bewusst praktizierte Dankbarkeit öffnet uns die Augen für die schönen Seiten des Lebens und lässt das Leben ungemein an Tiefe und Intensität gewinnen. Viel zu oft nehmen wir gar nicht bewusst wahr, wie wir freundlich gegrüßt werden, wie uns jemand ein Kompliment macht, wie reibungslos der Alltag dann doch immer wieder abläuft.

Das ist auch ganz natürlich: unser Gehirn registriert „negative“ Vorkommnisse sehr viel stärker als Positive. Auch dies ist wieder auf einen Überlebensmechanismus aus der Menschheitsgeschichte zurückzuführen. Was ohnehin in Ordnung ist, nehmen wir deshalb kaum wahr, weil unser Gehirn hier kein Veränderungspotential bzw. keine Notwendigkeit sieht, etwas zu verändern – im Negativen jedoch schon. Primär will unser Gehirn nämlich Schmerz vermeiden. Da kommt die Wahrnehmung des Guten oft zu kurz. Auch in diesem Fall hilft die Achtsamkeit ungemein.

Notizbuch in das gerade jemand schreibt "I am grateful for"

Nimm Dir mal vor, Dir jeden Abend drei Dinge aufzuschreiben (oder im Smartphone zu notieren oder diktieren), die Dir an diesem Tag besonders gutgetan haben oder die Dir gelungen sind und sei bewusst dankbar dafür. An manchen Tagen wird das leicht sein – wenn die Sonne scheint, alle gut gelaunt sind und Dich eine positive Nachricht erreicht, dann ist das Leben in Ordnung. Aber nimmst Du das auch so richtig wahr? Die Freude wird um ein Vielfaches mehr, wenn Du sie auch bewusst (nochmal) wahrnimmst, möglicherweise sogar teilst oder eben aufschreibst.

Aber es gibt ja auch die anderen Tage, an denen scheinbar nichts gelungen ist. Und genau hier gilt es dranzubleiben! Denn jeder Tag beinhaltet seine kleinen Freuden – und sei es der Moment, in dem Du am WC sitzt und einfach mal für ein paar Augenblicke Deine Ruhe hast. Auch diese Momente gilt es, bewusst wahrzunehmen. Etliche Studien haben bewiesen, wie Dankbarkeit Geist und Körper stärkt und sogar Krankheiten heilen kann. Die Veränderung des Fokus aufs Positive vermehrt dies und steigert die Lebensqualität. Probiere es aus!

Es gibt mittlerweile auch wunderschön gestaltete kleine Büchlein – Dankbarkeits-Tagebücher. Wenn Dir die Dankbarkeits-Routine gefällt und Du sie erweitern willst, so kannst Du Dir auch ein ausführlicheres Journal zulegen. Beispiele dafür sind das „6-Minuten-Tagebuch“ oder „Ein Guter Tag“.

Ich wünsche Dir viel Freude und gutes Gelingen bei der Umsetzung der Inspirationen!

Über die Autorin

Portrait Kathrin Prossegger. Sie trägt einen dunkelblauen Blazer und hat braune, lockige Haare.

Kathrin Prossegger ist Fachtrainerin, Fitness-, Yoga- & Mentaltrainerin, Genesungsbegleiterin und Psychologische Beraterin in Ausbildung. Sie hat es trotz mehrerer schwerer Erkrankungen geschafft, das Studium der Internationalen Betriebswirtschafts abzuschließen und sie war auch viele Jahre im Tourismus und Eventbereich als Teamleiterin tätig. Sie durfte selbst immer wieder erfahren, wie wichtig es ist, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und nicht aufzugeben! Kathrins Vision ist es, Menschen zu inspirieren und sie zu einem selbstbestimmten Leben zu begleiten.

www.kathrinpro.com

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