Was Personen mit chronischen Krankheiten im Job helfen kann

Jede:r Betroffene erlebt seine:ihre chronische Krankheit anders. So kann auch jede Erkrankung unterschiedliche Einschränkungen zur Folge haben. Für die Inklusion am Arbeitsplatz gibt es deshalb kein allgemeingültiges Erfolgsrezept – doch wie können wir chronisch kranke Mitarbeiter:innen und Arbeitskolleg:innen bestmöglich unterstützen?

Mitarbeiter:innen mit und ohne Behinderungen in einer Besprechungssituation

Gastbeitrag von Rea Strawhill

Seid offen dafür, dazuzulernen

Entwickelt eine Kultur des Zuhörens, abseits von Stereotypen und Urteilen. Eine Kultur, in der der Mensch im Vordergrund steht und nicht als Maschine gesehen wird, die funktionieren muss.

„Aber gestern konntest du doch...“ oder „Die Freundin meines Bekannten hat auch ... und sie kann ...“ sollten Sätze sein, die der Vergangenheit angehören. Seid euch bewusst, dass jeder Mensch seine Krankheit anders erlebt. Selbst zwei Personen, die dieselbe Diagnose haben, erleben möglicherweise ganz andere Symptome und ganz unterschiedliche Einschränkungen. Das ist ganz normal. Viele Krankheiten basieren auf einem Spektrum und sind nicht linear. Seid deshalb offen dafür, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Anpassungen benötigen, und dass Menschen nicht nach Anleitungen funktionieren. Auch kann es sein, dass diese Anpassungen mit der Zeit verändert werden müssen – Menschen entwickeln sich, und das ist ok, und besonders bei dynamischen Behinderungen ist es wichtig, eine gewisse Offenheit für Flexibilität zu bewahren.

Diese Anpassungen sollten außerdem nie als lästiger Zeitaufwand betrachtet werden, sondern als Schlüssel dafür, dass die betroffene Person ihre Arbeit bestmöglich verrichten kann. Spezielle Fort- und Weiterbildungen zur Sensibilisierung im HR- und Diversity Management Bereich können hier hilfreich sein, damit die Last zur Aufklärung von Betroffenen wegfällt.

Betroffene haben ein Recht auf Privatsphäre

Bei aller Offenheit ist es wichtig zu wissen, dass Betroffene von chronischen Erkrankungen generell keine Verpflichtung dazu haben, ihr Umfeld aufzuklären. Fragen, die sehr privat sind, müssen niemals beantwortet werden. Denn: Privates muss privat bleiben dürfen und persönliche Grenzen sollten im Arbeitsumfeld nicht überschritten werden. Wenn jemand von sich aus offen über seine Erfahrungen spricht, ist das natürlich in Ordnung. Aber man sollte nicht das Gefühl bekommen, ausgefragt zu werden, wenn man das eigentlich nicht möchte. Wie viel Betroffene preisgeben möchten, ist rein ihnen zu überlassen.

Betroffene haben außerdem das Recht, sich selber auszusuchen, ob sie ihre Erkrankung überhaupt bekannt geben möchten. Man hat gegenüber seinem Arbeitgeber keinerlei Verpflichtung, seine Diagnosen offenzulegen! Die Entscheidung liegt bei den Betroffenen selbst. Wenn man sich dazu entscheidet, die Erkrankung bekanntzugeben, reicht es auch, zu sagen: „Ich habe eine chronische Erkrankung, deshalb habe ich mehr Bedarf für Unterstützung bei ...“ ohne dabei auf nähere Details einzugehen. Arbeitgeber:innen haben die Pflicht, dies zu respektieren.

Was Personen mit chronischen Krankheiten am Arbeitsplatz helfen kann:

Flexible Arbeitszeiten

Unsere Körper funktionieren nicht auf Knopfdruck. Besonders dann, wenn eine chronische Krankheit vorliegt, sind unsere Körper nicht immer genau dann leistungsfähig, wenn wir das gerade möchten. Leistungsfähigkeit kann auch individuell nach Tageszeit schwanken. Flexible Arbeitszeiten sind hier das A und O. Außerdem entsteht durch chronische Krankheiten oft ein Mehraufwand an Behandlungsterminen, administrativer Arbeit und Selbstorganisation. Flexible Arbeitszeiten bieten die Möglichkeit, all diese Herausforderungen unter einen Hut zu bringen. Hier ist es wichtig, den Menschen zuzutrauen, dass sie es selbst am besten wissen, wann und wie sie am besten arbeiten können. Studien zeigen zudem, dass flexible Arbeitszeiten zu weniger Fehlzeiten führen.

Home-Office ohne Einschränkung

Von zu Hause aus zu arbeiten ist für viele chronisch kranke Menschen eine große Chance, am Arbeitsmarkt teilzuhaben, wo es anders nicht möglich wäre.

Es ist wichtig, dass wir die Arbeit von zu Hause als genauso wertvoll erachten, wie die Arbeit, die im Büro passiert. Denn im Gegensatz zu manchen Vorurteilen sind viele Menschen bei der Arbeit von zu Hause produktiver als im Büro! Für viele bedeutet von zu Hause aus arbeiten zu können, dass die Barriere der Anfahrt zum Arbeitsplatz wegfällt, wodurch mehr Energie für die tatsächliche Arbeit bleibt. Hier bietet die Digitalisierung eine großartige Chance, von der sehr viele Menschen profitieren können.

Anpassungen am Arbeitsplatz

Für jede Person bedeuten diese Anpassungen etwas Anderes. Manche brauchen vermutlich spezielle rückenfreundliche Bürostühle, andere brauchen Möglichkeiten für Rückzug und Ruhe, manche brauchen vielleicht die Möglichkeit, im Liegen arbeiten zu können, oder auch den Zugang zu einem eigenen WC (Zum Beispiel bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen). Außerdem sollten Menschen mit chronischen Krankheiten oder Schmerzen nie gezwungen sein, im Stehen zu arbeiten, wenn dies ihre Schmerzen verstärkt.

Arbeit in Teilzeit ermöglichen

Für viele chronisch kranke Menschen ist eine Arbeit in Vollzeit nicht realistisch und für die Erhaltung der Gesundheit nicht förderlich. Man hat im Vergleich zu gesunden Personen weniger Energie zur Verfügung, benötigt jedoch im Alltag viel mehr Zeit für Arzttermine, Behandlungen, Behördengänge, Symptommanagement und vieles mehr. Im englischen spricht man hier von „usable hours“ – das sind die Stunden, die man täglich zur Verfügung hat, tatsächlich Dinge zu tun. Bei vielen chronisch kranken Menschen können aufgrund bestimmter Symptome und dem Bedarf nach vielen zusätzliche Ruhepausen diese usable hours stark eingeschränkt sein. In vielen Fällen ist deshalb Arbeit nur in Teilzeit möglich. Hier kann es helfen, bereits bei der Ausschreibung der Stelle zu betonen, dass auch Bewerbungen für Teilzeit erwünscht sind, wenn dies möglich ist.

Ein Modell, dass hier erheblich helfen kann, ist das sogenannte „Job Sharing“: dabei handelt es sich um ein Arbeitszeitmodell, das auf Teilzeitarbeit basiert. Zwei Arbeitnehmer:innen teilen sich eine Vollzeitstelle und teilen alle dazugehörigen Aufgaben untereinander auf. Falls eine Person ausfällt, steht die andere zur Verfügung, und umgekehrt. Dies kann eine tolle Chance sein, eine Arbeitsstelle für chronisch kranke Personen zugänglich zu machen, wo es anders vielleicht nicht möglich wäre.

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Inklusion zahlt sich aus

Aufgrund von Vorurteilen werden chronisch kranke Menschen oft als faul oder unwillig abgestempelt. Doch chronisch krank zu sein hat mit Faulheit oder mangelnder Disziplin rein gar nichts zu tun. Als gesunder Mensch ist es kaum vorstellbar, wie stark einen eine chronische Erkrankung einschränken kann. Umso wichtiger ist es, bereit zu sein, Hilfestellungen und Akkommodationen zur Verfügung zu stellen, wo auch immer sie benötigt werden. Außerdem sollten betroffene Mitarbeiter:innen dazu ermutigt werden, über diese Akkommodationen selbstbestimmt zu entscheiden- denn sie sind die Expert:innen für ihre eigenen Körper und Bedürfnisse. Dies kann dabei helfen, dass chronisch kranke Menschen in ihren Aufgaben aufblühen können, ohne die Sorge im Hinterkopf zu haben, vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden.

Und: wenn wir bereit sind Menschen, die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen, werden wir sehen, dass chronisch kranke Menschen in Sachen Kompetenz ihren gesunden Kolleg:innen in nichts nachstehen.

Außerdem zeigen viele Studien, dass sich Inklusion und Diversität sehr positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken. Somit ist mehr Inklusion im Team ein wahrer Vorteil für jedes Unternehmen und sollte auch so wahrgenommen werden – so können sich alle Teammitglieder wertgeschätzt und unterstützt fühlen.

Quellen:

https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/personalfragen/flexible-arbeitszeiten

https://www.totalrewards.de/kultur/unternehmenskultur/diversitaet-als-schluessel-zum-unternehmenserfolg-67871/

Über die Autorin

Portraitbild von Rea Strawhill

Rea Strawhill ist ehemalige Lehrerin und schreibt auf ihrem Blog und auf Social Media über ihre Erfahrungen mit der Krankheit ME/CFS. Ihr Ziel ist es, Bewusstsein für Themen wie unsichtbare Behinderungen, Ableismus und Inklusion zu schaffen, und über Vorurteile zu chronischen Krankheiten und Behinderungen aufzuklären.

Auf Social Media findet ihr sie unter @Rea Strawhill 

Website von Rea

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